Donnerstag, 17. April 2014

was mich fertig macht: Orthorexie

Als ich ganz frisch diagnostiziert worden bin (wie sich das anhört...) bin ich auf diesen Blog-Post von Diary of a Lipstick Terrorist, was übrigens ein mehr als lesenswerter Blog ist, gestoßen. (Wenn ich schon mal beim Link-Teilen bin, dann möchte ich noch unbedingt diesen hier loswerden: 10 Reasons to Love Your Body NOW!, das ist so wunderbar fein und wirklich wahnsinnig witzig geschrieben - ich habs mir sogar ausgedruckt)

Auf jeden Fall war ich ziemlich geplättet, als ich den Eintrag fertig gelesen hatte. Ich hab mich selbst in beinahe jeder Zeile wieder gefunden und konnte es fast nicht glauben. Jetzt war ich schon damit konfrontiert, dass wirklich etwas mit mir nicht stimmte, und dann auch noch das. Gut, Selbstdiagnosen können oftmals nicht ganz korrekt sein, aber das passt(e) einfach wie die große Sonnenbrille zum heißen Sommertag.
In dem oben genannten Eintrag wird viel darüber geschrieben, wie wichtig eine "gesunde Ernährung" und biologisch erzeugte Nahrung vielen von uns geworden ist. Wie viel Platz Gedanken über den Ungesundheitsgrad eines Lebensmittels schon in unseren Köpfen eingenommen hat. Und, könnte es auch anders sein bei der Lippenstift Terroristin, dieses Phänomen wird kritisch hinterfragt - woher kommt der Drang, sich plötzlich exzessiv gesund zu ernähren? Hat das wiedermal etwas mit einer gewissen Chance, Profit zu machen oder denselben zu steigern, zu tun?
Kann das sein, dass Konzerne schon eine so große Macht über uns haben?

Aber jetzt zurück zur Orthorexie. Orthorexie beschreibt das Verlangen, sich überwiegend oder sogar ausschließlich gesund zu ernähren. Zucker und Weißmehl wird mehr oder weniger verteufelt und biologisches Essen bevorzugt.

Ich habe gerade diese Beschreibung verfasst und mir dann noch einmal durchgelesen. Eigentlich hört sich das so harmlos an, so als ob es an und für sich etwas Gutes ist - was kann denn so schlimm daran sein, wenn versucht wird, gesunde Nahrung aufzunehmen?
Und wie bei so vielen Dingen ist es wieder das Extreme, das das Problem darstellt. Ein wenig auf die Ernährung zu achten, sich ein bisschen auszukennen, versuchen, den Speiseplan möglichst ausgewogen zu gestalten, und nicht jedes Junk Food in sich reinzustopfen ist ja gut und toll und auch was Schönes, die Haut profitiert, das Wohlbefinden ebenso. Alles super. Aber wenn es dann so weit kommt, dass es nicht mehr möglich ist, ein Stückchen von der Lieblingsschokolade zu naschen, dann kann etwas nicht stimmen. Einerseits hat unser Körper es schon ganz schön drauf, er weiß eigentlich immer genau, was er gerade braucht und verlangt das dann in Form von Gusto. Gerade habe ich Lust auf Brokkoli, gerade gelüstet es mich nach Gummibärchen - es werden schon die Inhaltsstoffe sein, die die unterschiedlichsten Lebensmittel haben, die gerade gebraucht werden.
Natürlich spielt auch hier Werbung eine riesige Rolle. Ich sehe im Fernsehen, wie ein Spiegelei verputzt wird, und prompt habe ich das Gefühl, jetzt unbedingt eines zu brauchen. Es wird uns aber auch durch diverse Billboards und anderen Werbungen suggeriert, viel Süßes zu essen - auf jeder zweiten Ecke hängt die neue Snickers-Werbung, dazwischen sind die neuen kulinarischen Ideen von Milka abgebildet und da drüben kann ich schon wieder einen Burger von McDonald's sehen, der nicht mal auf dem Bild appetitlich aussieht.
Aber ich glaube trotzdem, dass sich unser Körper da ziemlich gut durchsetzen kann. Ich glaube, die ayurvedische Küche meint auch, dass es eigentlich gar nichts Ungesundes gibt, der Körper holt sich von überall das, was gerade benötigt wird.

Aber mit der Orthorexie wird das nicht mehr möglich gemacht. Diese verbietet nämlich alles, was nicht zu hundertprozent - oder am besten noch drüber - gesund ist.

Um noch einmal auf meine Situation (oh, was für eine Überraschung!) zurückzukommen: Ich glaube schon, dass ich damit ein (großes) Problem habe. Doch bin ich mir gleichzeitig sehr sicher, dass es schon wesentlich besser geworden ist. Gut, letztens habe ich ein Stück Kuchen, der zwar selbstgemacht und vegan war, von dem ich aber weiß, dass er mit Weißmehl und jede Menge Zucker zubereitet worden war, beim Geburtstag einer Freundin gegessen. Beim Heimfahren ist es mir dann so schlecht gegangen. Und das passiert natürlich öfter. Aber mein Verständnis von "gesund" hat sich trotzdem ausgeweitet.
Ich erinnere mich noch, als ich einmal Spinatravioli gegessen habe, und es gar nicht mehr gepackt habe, wie ungesund ich mich schon wieder ernähre. Auch empfinde ich normalen, weißen Reis nicht mehr als Inbegriff von ungesund. Und in der Theorie glaube ich fest daran, dass alles, was mit Liebe gemacht worden ist, nur gesund sein kann (Ayurveda lässt grüßen!).
Gestern habe ich ja auch kurz erwähnt, dass mir sogar eine Ärztin dazu geraten hat, nicht so viele Vollkornprodukte mehr zu mir zu nehmen, wegen dem geblähten Bauch. Und wenn eine Ärztin sagt, dass ich weißes Mehl essen soll, dann kann es ja auch gar nicht so schlimm sein.
Auch denke ich mir oft, dass es in so vielen Ländern gar kein Brot aus vollem Korn gibt. Die Menschen dort ernähren sich schon seit eigentlich immer von Fladen- und Weißbrot und sind auch nicht der Reihe nach gestorben oder dick. Mit Reis und Nudeln ist das übrigens dasselbe.

Auch möchte ich gar nicht überlegen, wie viel Zeit ich schon damit zugebracht habe, die Bezeichnung für ein Essen mit dem Stichwort gesund in Ecosia einzugeben und mir Artikel über die Vor- und Nachteile des jeweiligen Essens durchgelesen habe. Da müssen schon so viele Stunden drauf gegangen sein. Daweil weiß doch mein Körper von alleine, was gesund ist für ihn. Und das ist vielleicht etwas so Subjektives - mein Körper braucht vielleicht momentan unendliche Mengen an Müsli, während deiner ganz viele Bananen braucht.
Man verpasst so viel, wenn man bloß daran denkt, was jetzt gesund und was es nicht ist.
Ich weiß leider wirklich nicht, ob es mir überhaupt mal möglich sein wird, ohne schlechtem Gewissen, wirklich "ungesunden" Kuchen, also mit Zucker, Weißmehl und Creme und allem drum und dran, zu mir zu nehmen. Aber zumindest ist mir bewusst, dass das so nicht ganz normal ist, dass die meisten Menschen nicht darüber nachdenken, was sie essen. Sie essen es, weil es gut schmeckt und weil sie es gerade brauchen.

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