Samstag, 2. August 2014

The Hunger Games und eine schöne Reflexion unserer Gesellschaft

Aus den Überbleibseln, den Resten von Nordamerika entsteht etwas Neues. Wie lange Amerika oder vielleicht auch die ganze Welt schon untergegangen ist, kommt nicht zur Sprache. Es muss wohl schon lange her sein, als das letzte Mal der Alltag der uns bekannten Bevölkerung dieses Erdteiles vonstatten gegangen ist. 13 Distrikte werden errichtet. Ein Kapitol. Panem. Irgendwann bricht ein großer Krieg - Bürgerkrieg? - aus, denn die verschiedenen Teile der neuen Welt müssen mit einer ungerechten und ungerechtfertigten Verteilung leben. Die einen in Reichtum, Glanz. Die anderen haben nichts und müssen sich täglich bemühen, auch genug auf den Esstisch zu bekommen. Der Aufstand wird aber niedergeschlagen und dem Kapitol ist es möglich, den Sieg davon zu tragen. Distrikt 13 wird dabei vollkommen zerstört und von ihm bleibt nichts übrig. Außer die Hunger Games.
Schätzungsweise spricht man im Deutschen von den Hunger Spielen, das Buch von Suzanne Collins wurde aber von mir in der Originalsprache verschlungen. Als ich es mir vor ein paar Tagen von meinem durchaus begeisterten und von der Qualität dieses Werkes überzeugten Mitbewohner ausgeborgt habe, war ich trotzdem noch sehr skeptisch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das Internet voll war mit Lobeshymnen und Hochpreisungen. Ich weiß auch noch genau, wie es war, als der Film basierend auf eben diesem Buch rausgekommen ist. Alle waren begeistert und eigentlich habe ich mir auch vorgenommen, die Triologie zu lesen. Warum ich es nicht getan hab, liegt wohl daran, dass ich noch genug andere unaufgeschlagene, tolle Romane in meinem Bücherregal herumstehen hatte und auch wahrscheinlich ein bisschen zu faul war, zum kleinen Buchgeschäft in der Nähe zu fahren und es zu bestellen. Nachdem ich dann letzte Woche mein Buch von André Gide niedergelegt habe, dachte ich mir aber, jetzt ist es endlich an der Zeit, mich auch mit dieser Materie ein wenig zu befassen. Meine Skepsis war allerdings auch vorhanden, weil ich schon desöfteren mit sehr hohen Erwartungen Bücher gelesen habe, die laut Tumblr und co. einfach nur wundervoll sein sollten, mir im Endeffekt dann ein wenig zu oberflächenkratzend oder sonst was waren.
Es ist immer schwierig, wenn eine gewisse Vorfreude und Aufgeregtheit gegeben ist, da wird man schnell einmal enttäuscht.

Das war aber bei "The Hunger Games" beziehungsweise "Die Tribute von Panem", wie der Roman wohl auf Deutsch heißt, wirklich nicht der Fall.

Meiner Meinung nach hat die Autorin es wundervoll geschafft, Spannung aufzubauen und Gesellschaftskritik mit Problemen, mit denen man halt oftmals als Jugendliche kämpfen muss, zu verweben. Das Buch ist durchzogen von Katniss' Hass auf das regierende Regime, obwohl sie diesen nur selten direkt zum Ausdruck bringt. Es handelt aber auch von der wunderbaren Verwirrung verursacht durch Zuneigung und Liebe und Verlust und Bewunderung und Wettkampf.
Katniss opfert sich für ihre Schwester, und muss so schließlich selbst bei den Spielen mitmachen. Es ist nämlich so, dass ab deinem 12 Geburtstag dein Name in einen großen Topf geworfen wird, und je älter du wirst beziehungsweise je mehr du dazu verdienen möchtest, ein weiterer Zettel mit deinem Namen bedeutet nämlich eine weitere Ration Essen, was in bestimmten Distrikten eine Mangelware darstellt, desto häufiger findest du dich dort wieder. In diesem Jahr ist "Prim", Katniss' Schwester, zum ersten Mal, allerdings bloß einmal in dem Topf. Nichtsdestotrotz ruft Effie Trinkett ihren Namen voller Enthusiasmus in die Menge.
Es gibt pro Distrikt, von denen ja nur mehr 12 vorhanden sind, zwei Tribute. Einen männlichen und einen weiblichen. Insgesamt "spielen" dann 24 junge Menschen in einer Arena um ihr Leben. Sie müssen kämpfen und töten und jagen und Wasser finden. Nur eine Person überlebt.

Während Katniss' Alltag normalerweise daraus besteht, über den Zaun in den Wald zu schleichen und dort Essen für ihre Mutter und Schwester zu finden, wird sie nun mit einer komplett neuen Aufgabe konfrontiert...

Eine Passage im Buch hat mir besonders gefallen. In dieser macht sich Katniss nämlich Gedanken darüber, wie verdreht ihre Welt nicht ist. In ihrem Zuhause, Distrikt 12, werden Menschen, die mehr Rundungen, mehr auf den Rippen haben, bewundert. Wenn du selbst nur spärlich Essen zur Verfügung hast, ist dein Verhältnis zu runderen Körpern natürlich auch eine anderes. Und auch, wenn jemand es geschafft hat, ein gewisses Alter zu erreichen, hat man Ehrfurcht vor dir. Währenddessen wird im Kapitol größter Wert darauf gelegt, dass deine Fältchen weggelasert und deine Fettpölsterchen wegoperiert werden. Du möglichst jung und möglichst dünn erscheinst. Irgendwo spiegelt das doch auch unsere Realität wieder. Es gibt einfach diese eine Welt, die besessen vom Dünnsein, von Schönheit, von Jugend ist - das wird als erzielenswertes Ideal betrachtet. Aber so viele Menschen sterben vor Hunger. Da gibt es Leute, die jeden Tag zittern, weil es ihnen vielleicht nicht möglich war, genügend zu essen aufzutreiben und ihre ganze Energie darauf verwenden, vielleicht doch noch ein bisschen mehr zu ergattern. In der sogenannten "developed world" wird auch viel Augenmerk auf die Nahrung gelegt, aber aus einer ganz anderen Perspektive.
Suzanne Collins schafft es, mit subtiler Sprache und kurzen Sätzen, diese so schrecklich aktuelle Thematik in einer völlig neu konstruierten Welt einzubetten. Sie beschreibt die Menschen aus dem Kapitol mit so viel Klugheit und irgendwo auch so viel Witz, dass man diese bunten Gestalten direkt vor den Augen hat und irgendwo ihre Motive nachvollziehen kann, sie allerdings doch ziemlich abscheulich finden muss.

Außerdem spiegeln die Spiele an sich auch sehr schön, finde ich, unser Wettkampfbewusstsein wieder. Bei allem möchte man doch am besten erscheinen, die schönste Figur machen und die anderen Mitmenschen übertrumpfen. Hier wird dieses allerdings überzeichnet und endet für die meisten Beteiligten mit dem Tod. 

Und hier kommt der Twist.

Das Buch wurde verfilmt.
Als dieser erschien, hab ich ihn mir sogar angeschaut, nur um festzustellen, dass ich ihn wirklich nicht so großartig finde. Da hüpfen zwar ein paar Charaktere in einem Wald herum und bringen sich gegenseitig um, aber das Tiefgründige, das Innenleben, das so hervorragend in der geschriebenen Version vorhanden ist, fehlte. Es war wohl spannend und ich habe natürlich auch ein wenig mitgefiebert, mir die Tränen beim (Achtung: Spoiler!) Tod von Rue verkneifen müssen und Sympathien für Peeta entwickelt. Aber das wars auch schon wieder. Der innere Zwist von Katniss rund um ihre Beziehung zu eben diesem musste verkürzt werden und die Gesellschaftskritik blieb größtenteils außen vor. Irgendwo ist das aber auch selbstverständlich für einen Film, der nicht länger als zwei Stunden dauern sollte. Mit Worten ist es irgendwo doch auch leichter, etwas rüberzubringen, das sehr stark mit Innenwelt und Gefühlen zu tun hat, als mit Bildern. Außerdem hat Hollywood ja auch seinen Teil dazu beigetragen. Es war wohl verständlich, dass Katniss zuhause Hunger leiden musste, aber über dieses große Angebot von Essen, das ihr vorgesetzt worden ist, während sie ihre kurze Zeit im Kapitol fristen musste, freute sie sich nicht sonderbar merklich. Im Buch wurde immer mal wieder darauf eingegangen, dass sie ein paar Kilos zunehmen könne und das Nahrungsaufgebot gut nützen sollte. Sie hat dann auch immer besonders viel gegessen und als sie dann aus der Arena zurückgekehrt ist, war ihr die Tatsache, dass sie schon wieder so sehr abgenommen hat, furchtbar unangenehm. Im Film, so weit ich mich erinnern kann, waren zwar einige Szenen mit Mahlzeiten verbunden, das Essen blieb aber größtenteils unangerührt. Und eben diese Feststellung von Katniss, dass dort die Leute hungern und hier die Menschheit genau das verhungerte Schönheitsideal anstreben, blieb aus. Hollywood behält halt den eben bei uns gängige Maßstab bei. Dünn. Wenig essen. Vor allem für Mädchen*Frauen.

Vor ein paar Minuten, kurz bevor ich diesen Eintrag angefangen habe, zu schreiben, habe ich das erste Buch der Reihe zugeklappt. Es hat mich gefesselt und in eine andere Welt, die eigentlich gar nicht mal so anders ist als unsere, gezogen. Ich kann sehr gut verstehen, warum, zumindest das erste Buch, ein Bestseller geworden ist - denn selbst wenn du dich nicht sonderlich für Gesellschaftskritik interessierst, spannend genauso wie packend ist es allemal. Du fieberst mit, Wut lässt sich spüren, Angst und Hoffnung. Ganz viele Emotionen werden übertragen und die Perspektive von der Protagonistin wurde wunderbar gewählt und ausgeführt. Es liest sich leicht von der Hand und obwohl die Worte wunderbar verwendet werden, ist es kein schwerer Brocken, nicht einmal auf Englisch.
Die Autorin muss sich einiges über- und zurechtgelegt haben für diesen Roman, für diese Geschichte. So gekonnt wird Alltägliches mit Außergewöhnlichem verbunden, so geschickt fließen Standpunkte, Vorwürfe und Thematisierungen in die Handlung ein. Viele werden wahrscheinlich auch nur unterbewusst wahrgenommen und gar nicht so direkt realisiert.
Außerdem hat Collins eine wundervoll starke Hauptfigur geschaffen, die so gar nicht unserer Norm "Mädchen" entspricht. Sie ist eindeutig in sich gekehrt, macht sich aber trotzdem unglaublich viele Gedanken und ist bewusst gefühlsunbetont. Es handelt sich einmal mal nicht um einen starken und klugen Mann, sondern um Katniss, the girl who was on fire.

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